Durch Starkregen überflutete Flüsse im Nordwesten Deutschlands sind an mehreren Stellen über die Ufer getreten. Es gab viele schockierende Bilder von der Katastrophe, aber das interessanteste, mit den Augen eines Geographen, war zweifelsohne das Dorf Blessem bei Erftstadt. Die schwindelerregende Erosion konnte auf den ersten Blick nicht allein der Erft zugeschrieben werden, sondern auch der menschliche Faktor spielte eine Rolle für das Ausmaß der Zerstörung.
Am 13. Juli 2021 entwickelte sich von der Schweiz bis nach Niedersachsen ein riesiges Tiefdruckgewitter. Die warmen, feuchten Luftmassen blieben tagelang an Ort und Stelle und verursachten starke Regenfälle. Der Tief "Bernd" verursachte von Lothringen bis zum Ruhrgebiet, vor allem entlang der belgisch-deutschen Grenze, die stärksten Niederschläge. Hier fiel zwischen dem 13. und 16. Juli der durchschnittliche Niederschlag für 2-3 Monate in nur 2-3 Tagen. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge pro Quadratmeter liegt in Nordrhein-Westfalen im Juli bei 80 Litern pro Quadratmeter, doch diesmal waren es mit 148 Litern fast doppelt so viel in nur zwei Tagen. Am 14. Juli betrug die 24-Stunden-Niederschlagsmenge in den Ardennen mehr als 100 Millimeter. In Köln-Stammheim wurde der Rekord von 95 Millimetern gebrochen, am gleichen Tag wurden 154 Millimeter gemessen. Severe Weather Europe hat einen ausgezeichneten zusammenfassenden Artikel über das Wetterphänomen geschrieben, mit einer Erklärung der zugrunde liegenden atmosphärischen Phänomene für diejenigen, die sich für den meteorologischen Teil interessieren.
Rosa Banane, oder die Niederschlagsmenge, die am 14. Juli 2021 in 24 Stunden gefallen ist. (Quelle: Meteociel.fr)
Diese gewaltige Wassermenge konnte nicht abfließen, der Boden wurde mit Wasser gesättigt, die Flüsse traten über die Ufer und überschwemmten die umliegenden Siedlungen. Die Situation wurde durch die Topographie noch verschärft. Die engen Täler der Ardennen und der Eifel bereiteten der deutschen Armee bereits im Dezember 1944 Probleme. In diesen engen Tälern konnten sich die ablaufenden Wassermassen nicht ausbreiten, was wiederum den Hochwasserspiegel erheblich ansteigen ließ. Aber selbst in diesen engen Tälern führten die Überschwemmungen nicht zu der im Bild gezeigten Erosion, obwohl Blessem, ein Ortsteil der Stadt Erftstadt, bereits in der Ebene, südwestlich von Köln, in einer durch Braunkohletagebaue und deren Bergehalden veränderten Landschaft lag. Es gibt aber nicht nur Braunkohlegruben in der Umgebung, aber wir wollen nicht zu weit vorgreifen!
Normalerweise hat die Erft etwa die gleiche Durchflussmenge wie die Rabnitz/Rábca bei Győr. Er hat einen mittleren Durchfluss von 16,4 Kubikmetern pro Sekunde, aber sein höchster jemals aufgezeichneter Durchfluss (LNQ) im Jahr 1981 überstieg nicht 50 Kubikmeter pro Sekunde, was ungefähr dem mittleren Durchfluss in der Nähe der Mündung des Gran (Garam/Hron) entspricht. Die Erft entspringt in der Eifel und mündet bei Neuss-Grimlinghausen in der Nähe von Düsseldorf nach einer Strecke von 106 Kilometern in den Rhein. Bei solchen hydrologischen und geomorphologischen Parametern ist es unvorstellbar, dass ein Fluss, der sein Bett in einem flachen Gebiet verlässt, solche Verwüstungen anrichten kann. Es sollte hinzugefügt werden, dass sich dies auf den natürlichen Zustand bezieht, bei dem die Topographie nicht durch den Menschen gestört wird. Tatsächlich dies ist hier geschehen; das Bild unten zeigt die Landform, die das Ausmaß der Zerstörung vergrößert hat.
Die Kiesgrube Blessem, mit einer maximalen Tiefe von über 60 Metern (Quelle)
Im Jahr 1972 wurde die Kiesgrube Blessem in Betrieb genommen. Es ist nur 100 Meter von der Burg Blessem, die den Ortsrand markiert, und 75 Meter vom regulierten Flussbett der Erft entfernt. Das Abbaugebiet dehnte sich allmählich nach Norden aus, sowohl in der Ausdehnung als auch in der Tiefe. Zuletzt wurde 2015 bekannt gegeben, dass das 27 Hektar große Minengebiet schrittweise auf 40 Hektar erweitert werden soll. Der Plan wurde von den Politikern ohne Debatte genehmigt, da es kein Problem mit dem Fluss gab und Kies ein lukratives Geschäft ist. So sehr, dass der ehemalige Eigentümer, die Nowotnik-Gruppe, das Bergwerk 2016 an die Rheinischen Baustoffwerke verpachtet hat. Das Unternehmen verpflichtete sich, einen 1,2 km langen und 1,5 m hohen Damm um die nördliche Erweiterung des Minengeländes zu bauen und eine 0,5 Meter hohe Betonmauer neben dem Fluss zu errichten, um zu verhindern, dass das Wasser im Falle einer Überschwemmung in die Mine strömt. Dies hätte wegen des lockeren, kiesigen und kieseligen Untergrunds katastrophale Folgen.
Der Fluss Erft unterhalb von Erftstadt, bei Bergheim (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Erft)
Und genau das ist am 14. Juli passiert. Das Flussbett der Erft war nicht in der Lage, eine so große Wassermenge zu tragen, der Fluss verließ sein Bett und überflutete Blessem und die umliegenden Felder. Diese Flutwelle ging dann nur durch die Siedlung und erreichte bald die Wand der Mine, wo sie einfach durchbrach und den Kies aufweichte und sich in die Minengrube ergoss, deren Boden 40-60 Meter (13-20 Stockwerke) unter der Oberfläche liegt. Dieser Bereich wird in der Geowissenschaft auch als Erosionsbasis bezeichnet. Normalerweise ist die Erosionsbasis der Erft der Rhein, und die Erosionsbasis der Rhein ist die Nordsee, das heißt der Fluss transportiert sein Sediment dorthin, wo es abgelagert wird. In der Nähe von Blessem hat der Bergbau jedoch eine lokale Erosionsbasis, die Grube, geschaffen. Sie wurde sofort durch das über die Aue fließende Wasser, das vom Steilufer mitgeführte lose Sediment und die Besitztümer der Menschen aufgefüllt.
In den ersten Minuten spülte das über die Grubenböschung fließende Wasser die Seiten der Grube hinunter, und als es sich allmählich immer tiefer in den losen Kies zurückzog, spülte es unter der Betonwand hindurch und dann in die Grube hinein, wobei es einen mindestens einen halben Meter hohen Damm durchbrach, von dem aus sich weiteres Wasser in die Grube ergoss. Mit zunehmendem Wasserdurchfluss stieg auch die Arbeitskapazität des Hochwassers, das immer mehr Sediment bewegen konnte. Wer einen Sandkasten zu Hause hat, kann das Phänomen ganz einfach mit einem Gartenschlauch nachbauen. Das Zurückweichen von Flüssen in Gebirgs- und Hügellandschaften ist ein natürliches Phänomen, aber seine Geschwindigkeit ist im natürlichen Zustand nicht wahrnehmbar.
Der Burg von Blessem und die 100 Meter dahinter liegende Grube (Quelle)
Das Erosionstal begann sich in Richtung der Siedlung schnell zu vertiefen, entlang der Linien, aus denen das meiste Wasser kam. Zwei dieser markanten Richtungen sind auf den Bildern zu erkennen, die eine aus Richtung der Erft, die andere aus Richtung der Frauenthaler und Radmacher Straße in der Stadt. Das Erosionstal, das sich zur Erft hin einschnitt, erreichte schließlich das Mittelwasserbett, so dass der Fluss direkt in die Grube floss und eine neue, große Baggersee entstand. Augenzeugen haben vielleicht auch die seltsame hydrologische Situation gesehen, als der Fluss stromabwärts des Grabens rückwärts zu fließen beginnt. Wer es verpasst hat, kann es gerade noch auf dem Bild oben links sehen.
Im nördlichen Teil der Siedlung befinden sich unterkellerte Gebäude. Es lohnt sich ein Vergleich mit dem Ausgangsbild, das einen früheren Zustand zeigt. Quelle
Das Erosionstal, das sich zur Stadt hin auftut, hat inzwischen die Häuser in den Außenbezirken erreicht und unterhöhlt, und es hat auch die Straße ausgelöscht und das Kanalnetz wie eine Art prähistorischer Dinosaurierrücken freigelegt. Weitere muschelförmige Täler bildeten sich auf dem Feld, in einem Bereich, in dem das Wasser nicht in einer ausgeprägten Senke kam, sondern gleichmäßig über die Oberfläche verteilt war.
Es wäre keine große Überraschung, wenn die deutschen Behörden in Zukunft nicht zulassen würden, dass ähnliche Tagebaue so nahe an bewohnten Siedlungen eröffnet werden. Viel interessanter als die Frage, wer dafür verantwortlich ist, ist aber die Frage, wie die Landschaft nördlich von Blessem in Zukunft aussehen wird. Die Grube wird derzeit verfüllt, ebenso wie die Erft, die entlang des alten Flussbettes zurückgebaut wird. Dies könnte ein weiteres Problem darstellen, da die Häuser im Westen der Gemeinde ebenfalls am Flussufer liegen. Zwar fließt das Wasser nicht mehr durch die Straßen der Stadt, aber bei ähnlichen Regenfällen könnte die Erosion hier wieder einsetzen und weitere Gebäude wegspülen. Unter anderem eine Burg, die bereits im 13. Jahrhundert stand.
Richtung des Abflusses und eingeschnittene Erosionstäler nördlich von Blessem. Die blau gestrichelte Linie zeigt das alte Flussbett der Erft. (Bildquelle: https://www.youtube.com/watch?v=mZyLJSvAqFk)
Eine weitere Frage ist, was mit der Kiesgrube passieren wird? Wo wird der Überlauf sein? Kann der Fluss wieder in seinen alten Lauf unter der Mine umgeleitet werden? Vielleicht wird der schmale Liblarer Mühlgraben, der östlich des Bergwerks fließt, der neue Erftfluss? Wird der Baggersee bestehen bleiben oder wird das Wasser abgepumpt und die Produktion wieder aufgenommen? Letzteres wäre schon deshalb wichtig, weil man mit dem aus dem Bergwerk gewonnenen Material die erodierten Täler wieder auffüllen könnte. Dazu müsste die Erft aber erst wieder in ihr altes Bett zurückgeführt werden, was ebenfalls eine übermenschliche Aufgabe sein dürfte.